Distanzreiter Nordwest

Rittbericht: Champoussin

Der Schweizer Endurance Kalender ist um einen Ritt reicher – einen zweiten Ritt im Wallis: Champoussin.
Der Anlass fand am 20. September statt; angeboten wurden EVG 1 bis 3 über 25, 47 und 64 km, sowie ein CEN* über 82 km.

Im Vorfeld gab es viel zu spekulieren über die Route, aber eines schien klar: es würde für die Pferde nahrhaft werden,
schon bedingt durch den Umstand, dass sich das Base Camp auf 1670 Metern befand. Die Strecke würde auf fast 2000
Meter hoch führen.

In Anbetracht des Anfahrtweges und der Startzeit von 7 Uhr 30 für den CEN schien es mir weiser, am Tag zuvor anzureisen;
das schien stressfreier. So verladen wir am Freitag Mitte Morgen Johnny und machen uns auf den Weg. Verkehrstechnisch läuft alles überraschend gut – erstaunlicherweise auch zwischen Egerkingen und Bern – man ist da ja Schlimmes
gewohnt. Bei unserer Ankunft werden wir von OK-Präsidentin Virginie Gex-Fabry herzlich willkomen geheissen.
Johnny bekommt für den Nachmittag eine Weide, und später bezieht er im Stall der Herberge Chez Gaby eine grosszügige Boxe. Unser Zimmer ist gleich um die Ecke im Haus. Wir, das sind mein Mann Walti und ich (und unser Border Terrier)
– ich hab mal wieder einen Groom dabei! Anscheinend haben Johnny und ich Walti in Blitzingen nicht völlig
abgeschreckt. Zudem liebt er das Wallis …

Es kommen mehr und mehr Reiter mit ihren Pferden an, aber hier oben ist ausser Johnny nur noch Doris Frei’s Sunkee untergebracht, die anderen Pferde sind unten auf dem Wettkampf-Gelände in der Garage der Ferme à Gaby in extra hergerichteten Boxen.

Der Morgen des Ritt-Tages zeigt sich kalt, so kalt, dass das Tauwasser auf der Autoscheibe gefroren ist … Aber der Sternehimmel ist umwerfend schön! Um Viertel vor sieben – na ja, nicht ganz so pünktlich – beginnt dann die Eingangskontrolle, und um halb acht reiten wir los auf den CEN. Nach dem Start geht es direkt ein äusserst steiles
Wiesenbord hoch – später höre ich, das sich während des Tages verschiedene Pferde erst geweigert haben, da hoch zu kraxeln – dann sind wir auf einem Weg, und es geht so richtig los. Laut den Profilen, die im Programm abgedruckt sind,
geht es auf der 32-km Schlaufe total 1609 Meter hoch – also genau eine Meile rauf – und auf dem 25-km Loop 1283 m,
also total einiges über 4000 Meter hoch, da ja der 25-km Loop zwei Mal geritten wird … und dasselbe natürlich wieder
runter. Also mit Verstand reiten, aber auf den ebenen Stücken – derer da wahrlich nicht viele sind – nicht allzu langsam, wegen der steilsten Abschnitte, an denen man vernünftigerweise Schritt reiten möchte. Nach dem Naturweg kommt ein Stück Teer, und in der ersten grossen Kurve liegen Therese und Menaya neben mir flach – der kalte Boden mit dem alten
Belag ist glitschig, und die beschlagenen Pferde schlittern nur so rum; Johnny mit seinen Swiss Horse Boots hat da keine Probleme.

Dann geht es plötzlich über einen matschigen und lehmigen Trampelpfad – auch hier ist Vorsicht geboten. Immer wieder wechseln sich Waldwege ab mit kleinen Pfaden, dann wieder etwas Teer, oft rutschig, oft sehr steil. Wir erreichen nach 50 Minuten den ersten Groom Point bei 10 km, und dann geht’s im Schritt steil hoch bis in die Berglücke, die Portes du Soleil; rundum ein grandioses Panorama schroffer, gezackter Bergspitzen, teils schneebedeckt, wie zum Beispiel die markanten Dents du Midi geradeaus. Und weiter geht es, runter nach Les Croset, dann noch weiter runter um den nächsten Berg rum. Links unten sehen wir das berühmte Champery, dann gehts wieder hoch, über Wurzelstöcke, rutschige Weidabschnitte,
und dann auch noch wieder gerade und direkt einen super-steilen Gras-Hang hoch – wir stöhnen, aber die Pferde klettern eifrig hoch. Dann sind wir oben, wieder oberhalb von Les Croset, und von jetzt an geht es stetig leich runter. Bald schon haben wir die erste Schlaufe geschafft; Walti wartet schon auf uns.

Während der Pause – Johnny frisst Gras, ohne auch nur einmal den Kopf zu heben – schau ich mir die Karte noch
einmal an: ah gut, die 25-km Schlaufe geht nicht mehr da runter gegen Champery, es geht von Les Croset gleich auf
den Grat hoch, und im Bogen wieder zurück, das anstrengendste Stück ist da also nicht mehr drin.

In der Zwischenzeit ist es wärmer geworden und die Sonne scheint. Es ist allerdings immer noch kühl genug, um für die
Pferde angenehm zu sein; die Kletterei treibt ihnen ohnehin genug Schweiss aus den Poren. Die ungewohnte Höhenluft fordert auch ihren Tribut: schon bei der Eingangskontrolle war Johnny’s Puls ein paar Beats höher als gewohnt, und so
auch in denn Zwischen-Checks.

Auf dieser zweiten Runde überholen wir etliche EVGler, die ja jetzt auch unterwegs sind. In Les Crosets biegen wir ab
auf die rein grüne Route, und plötzlich geht es durch einen stockdunklen Strassentunnel – völlig unbeleuchtet, unter der Seilbahn Station durch. Einen Moment, als Johnny gar nichts mehr sieht, zögert er leicht, aber auf sanfte Aufmunterung
mit der Stimme trabt er wacker weiter.

Nach etwas über zwei Stunden sind wir zurück, und in dieser Pause frisst Johnny eine gute Portion Futter, und dann
noch Heu bis wir weiter müssen – letzte Runde, noch mal die 25 km! Johnny läuft noch locker und fleissig, aber ich will
ihn auf keinen Fall treiben, einfach ruhig … aber Johnny geht unverdrossen vorwärts; wenn’s echt steil wird, bremst er von selber ab. Die beiden steilsten Steigungen überwinden wir auch diesmal wieder im Schritt. Trotzdem sind wir auf dieser
letzten Runde noch gute zehn Minuten schneller als vorher. Therese ist langsamer geworden: Menaya braucht eine noch ruhigere Gangart. Athena ist gleich bei mir, sie ist den ganzen Tag mit mir geritten, und als wir die Ziellinie das letzte Mal passieren, ist sie auch geich hinter uns.

Nun nur doch die Abschluss-Kontrolle; Johnny will sich aufs Gras stürzen, aber er muss warten, bis sein Puls genommen
worden ist. Dann das “All-Clear“ – wir haben es wieder einmal geschafft – und gewonnen!

Ich fange an, aufzuräumen, dann warten wir auf die für 17 Uhr angekündigte Preisverteilung. Es ist fast sechs, bis die
endlich abläuft, was etwas mühsam ist, denn es wird immer kälter – echt kalt! – zudem wollen sich viele der Anwesenden
mit ihren Pferden auf den für Schweizer Verhältnisse teils recht weiten Heimweg machen. Ich gewinne einen grossen Laib hausgemachten Käses und eine Flasche lokalen Weins – ich als Anti-Alkoholiker und Nicht-Käse-Esser – aber Walti freut’s,
er liebt Käse – und Wein … und er hat sich die Preise als fleissiger Groom – trotz Sehenriss – wahrlich verdient!

Auch Johnny stürzt sich heisshungrig auf sein Dinner in der Boxe – als ich mit dem Eimer ankomme und von Weitem einen weissen, ungedeckten Pferdeleib erblicke denk erst ich, wer denn bloss auf die unerhört freche Idee gekommen sei,
mein Pferd abzudecken! … Oops, das ist ja gar nicht Johnny – da steht ein fremdes Pferd bei ihm in der Boxe mit drin und
frisst sein Heu, er steht wie immer auf der Seite. Das ist eines der Hotel-Pferde; die Tür zum Auslauf ist jetzt ein Drittel offen,
es hat sich da wohl reingedrückt. Wer die Schiebetür aufgeschoben hat, Johnny oder der andere Schimmel, ist unklar.
Zum Glück ist nichts passiert, und zum Glück ist Johnny noch drin, denn da draussen ist der ganze Rest der Hotel-Herde!
Wir bringen den Schimmel raus und verriegeln die Tür – und dann gibt es auch für uns ein leckeres Abendessen Chez Gaby.
Als ich später noch mal bei Johnny reinschaue, hat er den ganzen Eimer leer gefressen.

Am nächsten Morgen machen wir uns dann ausgeruht auf den Heimweg. Ich führ Johnny den ganzen Weg durchs Dorf
zum Parkplatz am unteren Ende, damit er sich die Beine vertreten kann. Als wir ankommen, hat Walti bereits den Anhänger angekuppelt – prima! Ins Tal runter fahren wir extrem langsam, denn es hat teils recht dicken Nebel, abgesehen von den Spitzkurven, aber auf der Autobahn kommen wir wieder gut voran und sind anfangs Nachmittag wieder zu Hause.

Alle sind sich einig: das war ein gradioser Anlass; es war offensichtlich, dass der Ritt mit viel gründlicher Hingebung
organisiert und durchgeführt worden ist. Zudem ist die gewaltige Panorama Aussicht in der Schweiz natürlich fast nicht zu überbieten. Die Unterkunfts- (für Mensch und Pferd) und Verpflegungsmöglichkeiten sind auch ideal und angenehm erschwinglich … wir kommen gerne wieder.

Bericht: Esty H. Geissmann